Für die Aktion #6500gründe haben wir unter anderen auch Uli Hebel angeschrieben, mitmachen konnte er aber nicht, weil er für DAZN die WM-Quali-Spiele kommentiert hat. Dafür hat er sich aber unseren Fragen gestellt. Im Interview erzählt er, warum er einen WM-Boykott für schwierig hält, wie man als Kommentator*in mit politischen Aspekten bei einer Live-Sendung umgeht und von einem Fußballprofi, der es sich nicht mit Nazis verspaßen wollte.
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Uli Hebel, warum stellst du dich eigentlich unseren Fragen?
Aus meiner tiefen Überzeugung heraus. Ich kann nicht auf der einen Seite Transparenz fordern und sie dann selbst nicht leben. Insbesondere Medienschaffenden gegenüber. Wer fragt, bekommt eine Antwort, wenn sich das zeitlich ausgeht. Man muss das gar nicht größer machen, als es ist. Gerade in dieser Zeit ist es so wichtig wie noch nie, dass sich Journalist*innen stellen und ihre Gedankengänge erklären. Es geht um Vertrauen, selbst wenn es „nur“ im Fußball ist.
Mehrere Fanorganisationen und auch nullzueins mit #6500gründe haben zu einem Boykott der WM und der Quali-Spiele aufgerufen. Wie sinnvoll schätzt du solche Forderungen ein?
Wir reden erst jetzt über einen Boykott, aber in Wahrheit hätte der doch – wenn schon – viel früher anfangen müssen. Ich persönlich kann aber nichts dagegen machen, daher nehme ich es so, wie es ist. Die Energie, die ich aufwende, um die FIFA zu bekehren, kann ich mir sparen. Das ist natürlich eine Art ungesunde Resignation, aber ich möchte auch alle Perspektiven sehen. Der Grund, warum wir miteinander sprechen, ist, weil nullzueins zu einem Boykott der WM-Qualifikation aufgerufen hat. Das ist die Zuschauer-Perspektive. Die andere ist die der Athleten. Manche haben vielleicht genau jetzt die einmalige Chance, eine WM zu spielen. Wenn die Zuschauer*innen diese boykottieren, hätte diese immer noch den Status einer WM für die Spieler – aber sie freuen sich sicher auch darauf, mal auf einer Weltbühne Fußball zu spielen. Vielleicht ist deren ganze Karriere sogar darauf ausgerichtet. Das ist bei Olympia dasselbe. Den Sportler*innen nimmt man eine Chance, auf die sie ihr ganzes Leben hingearbeitet haben und die vielleicht auch – im Falle Olympias vor allem – finanziell wichtig ist.
Kann man gegen diese Entwicklungen also gar nichts machen?
Das Problem geht doch weit darüber hinaus und ist ja nicht mit einem WM-Boykott gegessen. Nur weil wir die Augen zu machen, heißt es nicht, dass das Problem nicht da ist. Was machen wir denn mit den Ärmel-Sponsorings? Mit den Trainingslagern in Katar? Wir müssen uns nichts vormachen: Geld regiert die Welt. Bitte nicht falsch verstehen: Ich will nicht dazu aufrufen, das Engagement bleiben zu lassen, weil wir es sowieso nicht mehr ändern werden. Aber mehr als Kritik an all dem üben, kann ich, erst mal medial gesehen nicht tun. Wir leben in einer Demokratie, der FC Bayern, z.B. kann sich frei entscheiden, eine katarische Fluggesellschaft auf dem Trikot zu haben. Sie verstoßen vielleicht gegen moralische Grundsätze, aber gegen kein Recht. Es ist traurig, aber das muss ich leider so akzeptieren. Könnten Medien nicht ein Zeichen setzen? Ja! Würden Qualitätsmedien nicht berichten, würde man der FIFA ein Zeichen senden für das nächste Mal. Aber machen wir uns nichts vor: Das bleibt eine Utopie. Eine, die ich gerne male – aber eine Utopie. Ein Boykott wird sowieso nicht passieren. Wenn ARD und ZDF die WM nicht übertragen würden, macht es halt Sat.1. Und wenn Sat.1 sich dagegen entscheidet, macht es RTL. Es gibt eben nicht die Solidarisierung in der Branche, dass alle geschlossen nicht übertragen. Deshalb funktioniert das nicht. Vielleicht ein Querverweis in die Vergangenheit: Die TV-Übertragung der Tour de France wurde 2007 wegen Dopings von ARD und ZDF medienwirksam boykottiert. Nur wie lange? Nach einem Jahr haben sie sie doch wieder gezeigt. Das eine Zeichen ist gesetzt worden – die Zuschauer*innen wollten und wollen die Tour aber offensichtlich sehen.
Es ist so viel Augenmerk auf die menschenverachtenden Verbrechen gerichtet – darin ist auch eine große Chance begriffen.
Uli Hebel
Deine Skizze klingt ja recht aussichtslos….
Vorläufig, ja. Auch hier wieder eine andere Betrachtungsweise: Katar bekommt jetzt so die Aufmerksamkeit, die es ohne die WM nie bekommen hätte. Es ist so viel Augenmerk auf die menschenverachtenden Verbrechen gerichtet – darin ist auch eine große Chance begriffen. Man kann Polit-Berichterstattung rund um die WM platzieren. Zuschauer*innen können unheimlich viel über Katar lernen. Ich habe großes Vertrauen in die Öffentlich-Rechtlichen und die schreibende Zunft. Die Thomas Kistners, die Johannes Aumüllers dieser Welt, die werden toll vorbereitet sein und gute Arbeit leisten.
Wenn ich aber abwägen müsste und könnte, würde ich dem Land nicht erlauben, sich politisch zu inszenieren. Ich realisiere aber noch einmal: Viele Zuschauer*innen werden die Situation wohl nicht reflektieren.
Wirst du die WM-Spiele anschauen?
Es wäre heuchlerisch, wenn ich sage, dass ich sie boykottiere. Ich kann das gar nicht machen. Das Turnier hat eine große Tragweite und ist essentiell für meine Arbeit als Kommentator.
Ein Boykott ist, wie du sagst, wahrscheinlich nicht realistisch. Es geht aber auch darum, den Druck hochzuhalten.
Ja, ganz klar. Viele unterschätzen vielleicht auch den Druck, den Medien ausüben können. Alles, was Katar machen will, ist, sich zu inszenieren – so wie es Russland übrigens vorher auch gemacht hat. Internationaler Druck kann dafür sorgen, das sich etwas ändert.
Ich kann den Zuschauer*innen, die Boxen sehen wollen, nicht jedes Mal sagen: Schöne rechte Gerade, aber sie ist in Saudi Arabien passiert, deshalb ist sie minderwertig.
Uli Hebel
Die WM in Katar, Boxkämpfe in Saudi-Arabien. Wie geht man damit als Kommentator*in um? Thematisiert man das während einer Übertragung?
Grundsätzlich muss das der Sender, das Ressort oder ein Sendeteam entscheiden. Während eines Spiels oder eines Kampfes halte ich es nicht für sinnvoll, so etwas zu thematisieren. Im Gegenteil: Ich glaube, das muss man immer am Rand machen. Ich kann den Zuschauer*innen, die Boxen sehen wollen, nicht jedes Mal sagen: Schöne rechte Gerade, aber sie ist in Saudi Arabien passiert, deshalb ist sie minderwertig. Damit versaue ich den Menschen etwas, auf das sie sich freuen. Was aber nicht heißt, dass man das Thema außen vor lässt. Das ist dann eine Art von Überforderung, die wir auslösen, weil Sportzuschauer*innen vielleicht nicht unbedingt mit politischen Themen rechnen. Aber das müssen wir uns auch hier und da mal leisten. Journalismus bedeutet nicht, dass Rezipient*innen sich etwas wünschen. Ohnehin: Die meisten Zusehenden sind dafür offen. Glaube ich. Und vielleicht sogar auch solche, die sich sonst nicht damit beschäftigen. Das ist ein wesentlicher Vorteil: Dass uns Menschen zuhören, die sonst niemandem mehr zuhören, aber noch Sport schauen. Wir können die dann in eine aus meiner Sicht richtige Richtung bringen – pro Humanismus, zum Beispiel.
Gehören politische Kommentare zu den Aufgaben von Kommentator*innen?
Wir reden bei Katar, Saudi Arabien oder auch z.B. bei der Black-Lives-Matter-Bewegung nicht über politische Themen, sondern über menschliche Themen. Es gibt keine zwei Meinungen über Rassismus oder Menschenrechte. Selbstverständlich nicht. Ein Beispiel: In Saudi-Arabien hat der Prinz nach dem Weltmeisterschaftsboxkampf seinen Sohn auf die Schulter des Champions gesetzt. Und der sollte dann die Gastfreundlichkeit des Landes belobhudeln. Das muss ich einordnen. Das ist meine Pflicht als Journalist. Ansonsten werden genau diese Bilder produziert, die der Prinz haben möchte: Der Weltmeister mit seinem Sohn, er selbst von unten gefilmt, damit er größer wirkt – der ganze neumodische Diktatoren-Influencer-Kram.
Es gibt auch nach wie vor Kolleg*innen, die mit Politik nichts am Hut haben. Das finde ich ziemlich schwach.
Uli Hebel
Gibt es von DAZN Richtlinien, wie die Kommentator*innen mit politischen Aspekten während einer Übertragung umgehen sollen?
Bei DAZN haben wir diesbezüglich ziemlich viele Freiheiten – dafür bin ich sehr dankbar. Als beispielsweise vor ein paar Jahren türkische Spieler den Militärgruß gezeigt haben, wurde intern viel darüber diskutiert, ob und wie sich die Kommentator*innen äußern oder äußern sollten. In dem Fall finde ich es schlimmer, sich nicht zu äußern, als es einmal deutlich zu verurteilen. Aber das sieht jede*r anders. Und DAZN ist sehr offen, es gibt so gut wie keine Meinungseinschränkung. Aber die Frage: Hat das etwas im Sport verloren, ja oder nein? Das klappt so für die meisten Kommentator*innen ganz gut. Natürlich wird darüber auch im Nachhinein diskutiert oder es gibt mal einen Anpfiff nach Abpfiff. Es muss ja auch eine ständige – auch persönliche – Auseinandersetzung mit diesen Themen geben. Ich merke auch, dass sich meine Kolleginnen und Kollegen nochmal anders für Politik im Sport sensibilisiert haben. Ich glaube, es reicht, die richtigen Werte vorzuleben, dann muss man gar nicht immer einzelne Dinge bewerten. Jeder Kommentator oder jede Kommentatorin muss das für sich entscheiden. Es gibt auch nach wie vor Kolleg*innen, die mit Politik nichts am Hut haben. Das finde ich ziemlich schwach, schließlich ist es Teil des Berufsbildes, Sachverhalte zu hinterfragen.
Fußballer sind im Vergleich zu anderen Sportarten unheimlich unpolitisch.
Uli Hebel
Hat sich der Fußball aus deiner Sicht generell mehr politisiert?
Erstmal hat sich der Fußball nicht so sehr humanisiert, wie ich mir das wünschen würde. Das ist vielleicht das bessere Wort als politisiert. Ich möchte klarziehen: Es geht nicht um parteipolitische Äußerungen. Es geht mir darum, dass sich Fußballer äußern, weil sie Menschen sind. Sie haben nochmal eine viel höhere Aufmerksamkeit als ich. Würde sich zum Beispiel ein Mats Hummels hinstellen und verbreiten: Rassismus ist nicht cool, dann ist das keine politische, sondern eine zutiefst menschliche Aussage. Zlatan Ibrahimovic hat kürzlich gesagt, LeBron James solle sich doch nicht so politisch äußern. Doch, das soll er! Auch hier aber wieder eine Einschränkung zur Verganzheitlichung: Wenn aber jetzt jemand im Gegensatz dazu – und das gab es ja schon – mit Faschisten-Gruß in die Kurve laufen würde, fände ich das nicht mehr gut. Dann müssen wir das aber aushalten. Diese Menschen werden damit nicht aufhören und deshalb braucht es die anderen, die die richtigen Zeichen setzen. Das Beispiel LeBron James zeigt: Es gibt Sportler, die sich gegen Rassismus und Co. engagieren. Jetzt ist das aber ein Basketballer. Was ist mit den Fußballern? Fußballer sind im Vergleich zu anderen Sportarten unheimlich unpolitisch. So viele dunkelhäutige Athleten spielen Fußball. Trotzdem ist der innere Aufschrei immer noch so gering. Es gibt inzwischen kein Wochenende mehr, an dem nicht irgendein schwarzer Spieler Beleidigungen von irgendeinem Arschloch posten muss. Es scheint immer noch niemanden zu interessieren. Die Bundesliga hat den Kniefall pro Black Lives Matter ein paar Wochen gemacht. Und jetzt war es das wieder. Warum behalten wir das nicht bei, solange, bis es die Letzten verstanden haben? Auch, wenn es „nur“ ein Zeichen ist und keine Aktion. Dann ist es ein gutes Zeichen, das der Aktion vorausgeht. Das richtige. Nächste Einschränkung in einem komplexen Thema: Wilfried Zaha beispielsweise sagt, es demütige ihn mehr, dass er es überhaupt dieses Zeichen setzen müsse. Das kann ich verstehen. Final entscheidet auch immer der oder die Betroffene darüber, ob es sie beleidigt oder nicht. Da bin ich als weißer Mann zu allermeist ausgenommen. Also noch mal: Es einfach so passieren zu lassen, ist für mich keine Option.
Hast du selber schon entsprechende Erfahrungen mit Fußballern gemacht?
Ja, man kriegt das auch mit, wenn man mit manchen Spielern spricht. Ich habe eine Veranstaltung gegen Rassismus mitinitiert, bei denen wir im Rahmen von Global United Spenden für hungernde Kinder in Südafrika gesammelt haben. Ich habe verschiedene Kontakte von Sportlern abtelefoniert und gefragt, ob sie mir etwas zur Verfügung stellen, das ich verlosen kann. Ein Fußballer hat mir eiskalt ausrichten lassen – und das Zitat ist sinngemäß so gefallen – auch Nazis kaufen Trikots. Dieser Spieler würde wirklich richtig etwas bewegen, wenn er sich gegen Rassismus engagieren würde. Aber der hat es sich lieber leicht. Diesmal auch keine Einschränkung: Kann sein, dass es für den Spieler Konsequenzen hätte – hat eine entsprechende Äußerung auch für mich. Das müssen wir tun. Wir, die wir Menschen erreichen können, die wir vielleicht wirklich erreichen. Die andere, die schlechte Seite lässt solche Möglichkeiten nicht ungenutzt.
Nehmen große Fußballer wie Messi und Ronaldo also ihre Rolle als Vorbilder zu wenig wahr?
Es gibt immer die Diskussion um den GOAT, den größten Sportler oder die größte Sportlerin aller Zeiten. Sportartübergreifend fällt da immer der Name Muhammad Ali. Und warum? Weil er politisches Engagement gezeigt hat. Oder in meiner Logik gesagt: menschliches Engagement. Für die Gleichberechtigung von schwarzen Menschen; gegen den Krieg. Man kann darüber streiten, ob er der größte Boxer war. Aber ich glaube er ist auch deshalb so groß, wie er ist, weil er zwei Kämpfe gleichzeitig gekämpft hat. Das haben die wenigstens Fußballer getan. Die sind oft steril durch die Welt gelaufen. Sie hätten aber die große Möglichkeit, einen Unterschied zu machen. Cristiano Ronaldos Schwester hat zum Beispiel Covid-relativierende Aussagen auf Instagram gepostet. Und er hat sich nicht dazu geäußert. Das ist nicht per se verwerflich, es wäre aber eine große Chance gewesen, zu sagen: Das ist eine gefährliche Krankheit, bitte seid vorsichtig. Ronaldo hat so viele Follower*innen, davon sind bestimmt 20 Millionen der „Meinung“, Covid 19 würde nicht existieren. Hätte er einmal klargestellt, dass er es gehabt hat, dass es schwerwiegend war und dass die Leute vorsichtig bleiben sollen, hätte das geholfen. Da bin ich mir sicher. Im Übrigen einer, von zahlreichen Vorwürfen, den man dem „Vorbild“ Ronaldo zu machen hat. Oder das Beispiel Michael Jordan, der sagte, auch Republikaner*innen kaufen Sneakers. Ja, das tun sie. Aber will ich diese paar hundert Dollar? Von Menschen, die im Zweifel nicht denken, dass du ihrer Klasse entsprichst?
Wenn zu wenige Menschen zu wenig Courage haben, geht es irgendwann nach hinten los. Weil die andere Seite, die Anti-Humanistische Seite, zieht ihren Weg durch.
Uli Hebel
Es gibt ja auch immer wieder Zeichen gegen Rassismus oder Homophobie von der FIFA, vom DFB oder anderen Verbänden und Organisationen. Ist das genug?
Zeichen, die ich ausdrücklich begrüße. Aber der springende Punkt ist: Wir müssen es leben, sonst nutzt es nichts. Beispielsweise beim Spiel zwischen PSG und Basaksehir: Wenn die UEFA deutlicher durchgegriffen hätte, wäre das ein echter Einschnitt gewesen. Aber das tut sie nicht; sie propagiert lieber weiter den ertüftelten Slogan. Das ist eine vergebene Chance. Aus meiner Arbeitspraxis: Wenn ich während der Übertragung politische – oder humane – Dinge anspreche, nervt das auch manche. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass das richtig ist. PR-Verantwortliche von DAZN müssen sich dann für das, was ich gesagt habe, rechtfertigen, obwohl ich es klar als meine Meinung gekennzeichnet habe. Deshalb frage ich mich auch immer wieder: Mache ich das? Ich schade mir natürlich auch selber, es kann sein, dass der Sender irgendwann sagt: Mit dir haben wir nur Ärger. Wenn aber zu wenige Menschen zu wenig Courage haben, geht es irgendwann nach hinten los. Weil die andere Seite, die Anti-Humanistische Seite, zieht ihren Weg durch.
Hattest du schon einmal Prinzipien, die du brechen musstest oder die dir deine Arbeit erschwert haben?
Ja, das bleibt nicht aus. Es ist anstrengend, immer für seine Prinzipien einzustehen. Die PR-Leute bei DAZN wissen eben schon um die Konsequenzen meiner Aussagen. Stichwort: Shitstorm. Ich gebe Interviews, bei denen die PR-Abteilung Dinge rauslassen will, um mich zu schützen. Es ist manchmal einfach kräftezehrend, dann dafür einzustehen und zu sagen: Nein, ich möchte, dass diese Aussage bleibt. Ich habe auch nicht immer Energie für so etwas, habe ich wie andere Menschen auch, Baustellen. Hier und da gebe ich mich dann geschlagen. Trotzdem verspreche ich, dass ich möglichst für meine Überzeugungen kämpfe. Wenn ich Fußballer in die Pflicht nehme, muss ich ja bei mir anfangen.
Die Entwicklung des Profifußballs zeigt ja derzeit stark in die Richtung: mehr Spiele, mehr Wettbewerbe. Nächste Saison kommt etwa die UEFA Conference League dazu und die Champions League stockt ab 2024 die Gruppenphase auf. Glaubst du, dass die Fans irgendwann übersättigt sind und keinen Bock mehr auf Fußball haben?
Die Nachfrage scheint ja nach wie vor sehr groß zu sein. Vielleicht nicht mehr zu jedem Zeitpunkt flächendeckend, aber doch groß genug für die verschiedenen Anstoßzeiten. Ansonsten würden die Verbände es ja auch nicht machen. Für mich persönlich hätte es die Conference League nicht noch zusätzlich gebraucht. Diese Meinung oder Perspektive ist teilweise auch respektlos. Ich habe vor kurzem mit einem Bundesliga-Sportdirektor gesprochen, der mir am Telefon einen flammenden Appell gehalten hat, dass sie mit diesem neuen Pokal die Chance hätten, europäisch zu spielen und er die Ablehnung einzelner Spieler und Funktionäre darüber nicht verstehen kann. Aus dem eigenen Sessel lässt sich so ein Wettbewerb immer leicht verunglimpfen, aber für Vereine bietet sich damit natürlich auch eine Chance. Die Perspektive auf solche Sachen macht es daher oft aus – und wie man diese einschätzt. Klar wird für Menschen, die beruflich mit Fußball zu tun haben, der Aufwand immer mehr, weil man teilweise fünf Spiele in der Woche schauen muss, um up to date zu sein. Aber nicht jeder Mensch ist so tief drin im Fußball und hat dann auch nicht das Gefühl der Übersättigung. Und die UEFA wird vor solchen Änderungen sicher eine Marktanalyse durchführen. Die scheint positiv zu sein, ansonsten würden sie jetzt nicht die Conference League oder den neuen CL-Modus machen.
Solche Entgleisungen wie bei Jörg Dahlmann passieren nicht, weil man vorschnell etwas gesagt hat. Sondern weil die eigenen Gedanken wirklich so sind.
Uli Hebel
Auch in deiner Branche gab es letzte Saison einen viel diskutierten Vorfall: Jörg Dahlmann musste nach teils rassistischen und sexistischen Sprüchen den Hut nehmen. Hat man als Kommentator manchmal Angst vor der Live-Situation, weil Aussagen nicht rückgängig gemacht werden können?
Nein, Angst habe ich gar nicht, aber logischerweise Respekt vor der Aufgabe, live zu sprechen. Ich würde diesen Job auch nicht machen, wenn ich das nicht könnte. Das ist der Anspruch, den ich an mich selbst habe und den ich auch leisten muss. Außerdem ist es immer sinnvoll, erst zu denken und dann zu reden. Solche Entgleisungen wie bei Jörg Dahlmann passieren nicht, weil man vorschnell etwas gesagt hat. Sondern weil die eigenen Gedanken wirklich so sind. Sonst hätte man sie nicht so formuliert. Ich kenne Jörg Dahlmann nicht persönlich. Mein Bruder (Sky-Kommentator Joachim Hebel, d. Red.) sagt – genauso wie die meisten in der Branche – , dass er ein ganz feiner Mensch ist. Einer, der sich um seine Kolleg*innen kümmert und ganz lieb im Umgang ist. Deswegen kann und will ich auch gar nichts Schlechtes über ihn sagen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das, was er gesagt hat, einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Für den Menschen Dahlmann würde ich immer sagen: Bitte spielt ihm nicht übel mit. Genauso würde ich ihm persönlich aber auch immer sagen, dass ich inhaltlich überhaupt nicht seiner Meinung bin. Inzwischen haben sich die Dinge einfach verändert und das ist auch gut so. Es gab früher beispielsweise das NFL-Team der Washington Redskins, inzwischen sind wir darauf gekommen, dass dieser Name Menschen verletzt und haben ihn klugerweise entfernt. Da können sich Traditionalist*innen noch so aufregen – der Zeitgeist ist Gott sei Dank Regulator.
Du durftest mit der Kommentator*innen-Legende Fritz von Thurn und Taxis zusammenarbeiten, der aus einer anderen Generation des Kommentars kommt. Inwiefern hat sich das Kommentieren im Laufe der Zeit verändert?
Das Handwerk des Kommentierens hat sich nicht so sehr verändert, glaube ich. Früher hat man bei den Öffentlich-Rechtlichen viel mehr Zuschauer*innen erreicht, als wir das heute bei DAZN tun. Dafür haben auch nicht alle so viel vom Sport verstanden. Wenn sich bei DAZN jemand aktiv ein Abo leistet, muss ich dem oder der nicht mehr erklären, dass Harry Kane Engländer ist. Das wäre ja fast eine Beleidigung. Ich muss mir also etwas mehr Mühe geben, die Abonnenten und Abonnentinnen wollen gefordert werden. Ich will nicht dauernd sagen, was Rezipient*innen schon wissen. Entweder erzähle ich etwas Neues – gar nicht leicht bei unserem Publikum – oder ich rege zumindest neue Gedankengänge an, wie ein Spieler sich gerade entwickelt oder wie seine Form ist, zum Beispiel.
Im Zeitalter der Statistiken: Wie schwer ist es, die relevanten Informationen für die Zuschauer*innen herauszufinden und im richtigen Moment zu liefern?
Das ist der Job und die ständige Herausforderung. Dazu bedarf es eben einer gewissen Ausbildung als Sportjournalist*in, um entscheiden zu können, ob etwas relevant ist oder nicht. Außerdem muss ich Zahlen und Statistiken immer ins Verhältnis setzen können. Es ist niemandem geholfen, wenn ich beispielsweise sage: Thiago hat 42 Ballaktionen gehabt. Kein normaler Mensch weiß, ob das gut oder schlecht ist. Solche Informationen muss ich verständlich bringen. Von den Statistiken, die zur Verfügung stehen, schaffen es am Ende kaum zehn Prozent auch wirklich zum Publikum, weil der Rest einfach nicht brauchbar für die Zusehenden ist. Bloße Zahlen vorzulesen, nutzt niemanden etwas.
Ich möchte der beste Uli Hebel sein, der ich sein kann.
Uli Hebel
Welches Spiel würdest du am liebsten gleich als erstes kommentieren, wenn Zuschauer*innen wieder im Stadion sind?
Das Champions-League-Finale ist weiterhin das Ziel. Da bleibt die Antwort unkreativ (lacht).
Abschließend: Gibt es neben dem Champions-League-Finale noch ein persönliches Ziel, dass du noch erreichen willst?
Das mit dem Finale habe ich auch bei den Verantwortlichen mehrfach hinterlegt (lacht). Ich hoffe auch, dass ich mir das Woche für Woche verdiene. Außerdem möchte ich grundsätzlich der beste Uli Hebel sein, der ich sein kann. Mich weiterentwickeln, mich verbessern. Im Idealfall den Zuschauerinnen und Zuschauern eine gute Zeit liefern. Ich möchte gerne, dass Menschen sagen: So wie der müsste man es machen. „Striving for Greatness“, sozusagen. Eine Anleihe vom zu früh verstorbenen Kobe Bryant.
Foto: Uli Hebel
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