Dieser Text ist ein Gast-Kommentar von Raphael Molter. In seinem Podcast „beyond the ball“ widmet er sich den politischen und gesellschaftlichen Aspekten des Sports.
Union Berlin gibt sich gerne als der letzte demokratische Verein. Zwischen all den GmbHs und Fußball-AGs fällt der Klub aus dem Berliner Südosten gerne auf. Ein Bild von Mitbestimmung, Teilhabe und der Achtung demokratischer Rechte. Das erste Spiel in der 1. Bundesliga symbolisiert die Eigenwahrnehmung. Der Presse- und Stadionsprecher Christian Arbeit sprach Minuten vor Anpfiff gegen den ungeliebten RB Leipzig über den Aufruf des Stimmungsboykotts: „Wir werden das tun, was wir immer getan haben: Haltung bewahren.“
Diese Haltung fällt dem Verein nun auf die Füße, denn er sieht sich seit Montagabend mit Vorwürfen des strukturellen Rassismus konfrontiert. Der Umgang des Vereins mit diesen Vorwürfen ist entlarvend.
Vorwurf des strukturellen Rassismus
„BuzzFeed News“ und die „Märkische Allgemeine Zeitung“ berichteten am Dienstagmorgen über schwere Anschuldigungen an das Nachwuchsleistungszentrum von Union Berlin. Konkret geht es um die Ergebnisse einer dreimonatigen Recherche, die Union strukturelle Diskriminierung in der Talentförderung vorwirft. Der Anteil von migrantisch gelesenen Jugendspielern ist innerhalb weniger Jahre von über 40 auf zehn Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum hatte der ehemalige Trainer der Profimannschaft von Union Berlin, André Hofschneider, das Nachwuchsleistungszentrum als Leiter übernommen.
Viele der Anschuldigungen beziehen sich demnach auf Hofschneider. So soll unter seiner Leitung ein Klima der Angst geherrscht haben. Die Betroffenen berichten von harschen Disziplinarmaßnahmen und keinerlei pädagogischer Sorgfalt. Das allein mag im Umgang mit Jugendlichen problematisch genug sein, doch der Vorwurf der gesunkenen Anzahl von migrantisch gelesenen Spielern lässt den Vorwurf des strukturellen Rassismus zu: eine Art „Ausländerquote“, die nicht überschritten werden soll. Dafür sprechen auch Berichte von Betroffenen, die deutlich machen, dass der Verein weniger aus anderen Berliner Bezirken rekrutierte, und mehr auf den Heimatbezirk setzte. Ein Strategiewechsel, der dazu führt, dass kaum noch migrantisch gelesene Spieler bei Union spielen.
Union antwortet mit Diskreditierung
Die Vorwürfe sind das eine, der Umgang des Vereins ist das andere. Bereits Montagabend veröffentlicht Union den an sie gestellten Fragenkatalog der recherchierenden Journalisten online. Eine eigene Stellungnahme wird vorgehängt und sorgt dafür, dass der Verein proaktiv auf die Vorwürfe reagieren kann. Eine schlaue Taktik zum Schutz des eigenen Vereins.
Unions Pressestelle versucht, von Anfang an die Öffentlichkeit einzunehmen. Die Überschrift geht von „anonymen Vorwürfen“ aus. Das suggeriert eine Unglaubwürdigkeit der Anschuldigungen, die nicht gegeben ist. Natürlich machen Betroffene ihre Anschuldigungen kaum unter Klarnamen öffentlich. Sie werden viel zu häufig dafür angefeindet und müssen im professionellen Fußball damit rechnen, niemals eine Chance zu erhalten. Beschwerden über Diskriminierung – und erst recht über strukturelle Diskriminierung – sollten anonym ablaufen, damit sich Betroffene schützen können.
Das Seehofer’sche Argument: Geht nicht, gibt’s nicht
Die Vorwürfe umgeht der Verein mit einem Verweis auf die Satzung. Der Verein schließe solche Handlungen aus, da sie nicht mit den „demokratischen und humanistischen Grundwerten“ zu vereinbaren seien. Wer zu solch einem Argument greifen muss, der hat nichts von den Debatten der letzten Jahre gelernt. Mittlerweile sollte allen deutlich geworden sein, dass strukturelle Diskriminierung fast überall existiert. Machtvolle Strukturen kennen keine Verhaltenskodexe, wenn sie sich selbst schützen müssen. Und ein Seehofer’sches Argument im Sinne von „was verboten ist, muss nicht untersucht werden“ ist nicht nur faktisch falsch, sondern verkennt die Lage.
Selbstschutz über Aufklärung. Das scheint das Motto des Köpenicker Vereins in diesen Tagen zu sein. Man konstruiert lieber ein gewohntes Freund-Feind-Verhältnis, anstelle eine selbstkritische Aufarbeitung zu versprechen. Die wiederkehrende Verwendung von „anonymen Vorwürfen“ legt offen, was Union hier vorhat. Die Betroffenen sollen unglaubwürdig gemacht, die recherchierenden Journalisten diskreditiert werden.
Union hätte die Chance gehabt, auch an dieser Stelle spürbar anders zu agieren als viele andere Profi-Vereine. Stattdessen übt man sich in Selbstschutz…
Raphael Molter
Es geht bei dem Schritt an die Öffentlichkeit scheinbar nicht darum, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Vorwürfe werden ohne stichhaltige Begründung abgeschmettert. Lieber zitiert man aus der eigenen Vereinssatzung, als dass inhaltlich auf die Anschuldigungen eingegangen wird. Das spricht dafür, dass Union hier Fronten aufziehen möchte, die dem Sportjournalismus nur allzu bekannt sind: Der Verein und seine Fans gegen die böse Medienblase, die alles kritisiert.
Struktureller Rassismus. Darum sollte es eigentlich gehen. Man sollte über André Hofschneider und sein enges Verhältnis zu Unions Präsident Dirk Zingler sprechen. Man sollte sich ernsthaft mit den Machtstrukturen bei Union Berlin auseinandersetzen. Union hätte die Chance gehabt, auch an dieser Stelle spürbar anders zu agieren als viele andere Profi-Vereine. Stattdessen übt man sich im Selbstschutz und der Verein zieht im Eiltempo eine Mauer hoch, die keine Kritik zulässt. Es stärkt den „eisernen Zusammenhalt“, wo Kritik und Reflexion gefragt wären.
Bild: Wikimedia Commons, Seppalot13, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Union-Fans-Choreographie.jpg
Sehr geehrter Herr Molter,
auch wenn es sich bei Ihrem Beitrag „nur“ um einen Kommentar handelt, sollte man doch den eigenen Anspruch haben, zumindest die bisher genannten Fakten richtig abzuschreiben. Selbst BuzzFeed News gehen in ihrem Artikel nur von der Quote der türkisch und arabischstämmigen Spielern aus, die gesunken ist, nicht von den Spielern insgesamt mit Migrationshintergrund. Es gibt wesentlich mehr Migrationshintergründe als nur türkisch und arabisch, das sollte Ihnen bewusst sein. Schauen sie sich die aktuellen Jugendmannschaften von Union auf der Website und die Namen der Spieler dort an. Es herrscht eine große Vielfalt, die von Ihnen behauptete 10% Quote von Spielern mit Migrationshintergrund ist in keiner Weise erkennbar. Daraus aber dennoch einen „strukturellen Rassismus“ konstruieren zu wollen, sagt mehr über Sie aus als über Union.
Mein Sohn war im Übrigen fünf Jahre im NLZ bei Union. Ja, es gab auch vereinzelt Trainer mit einem gewöhnungsbedürftigen Umgangston, und manche Trainer haben viel geredet mit den Spielern und manche weniger, aber wo gibt es das nicht im Leben, wenn viele Menschen miteinander zu tun haben. Aber ein Fall von herabwürdigenden Äußerungen oder Verhalten gegenüber Spielern mit Migrationshintergrund von Trainern oder auch unter den Spielern habe ich dort nie erlebt. Im Gegenteil Union legte immer sehr großen Wert auf das Sozialverhalten der Spieler. Vielleicht hat es mancher „Aussortierte“ auch deshalb nicht weiter geschafft, nur viel Talent ist eben nicht alles. Mein Sohn ist, auch wenn er es nicht bis in den Profifußball geschafft hat, heute immer noch Vereinsmitglied, wie übrigens viele ehemalige Nachwuchsspieler von Union ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Denn eigentlich sollte es in der Gesellschaft keine Rolle spielen, wo jemand herkommt oder seine Wurzeln hat.
LikeLike