Hannelore Ratzeburg war Spielerin, Trainerin und wurde die erste Frau im DFB-Vorstand. Als Vizepräsidentin ist sie dort für die Themen Gleichstellung sowie Frauen- und Mädchenfußball verantwortlich. Wir durften mit ihr unter anderem über ihren Werdegang, die Entwicklung von Frauen im deutschen Fußball, Frauenquoten und die Auswirkungen der „Taskforce Profifußball“ sprechen.
Frau Ratzeburg, Sie sind die erste und auch einzige Frau im DFB-Präsidium. Wie fühlt sich das an?
Danke, ich fühle mich gut. Aber es ist natürlich wichtig, dass wir zukünftig mehr Frauen im Präsidium haben. Es ist ja auch zwischenzeitlich aus anderen Zusammenhängen bekannt, dass mindestens drei Frauen in Gremien sein müssen, damit sich etwas ändert und mehr erreicht werden kann. In meiner neuen Funktion als Gleichstellungsbeauftragte werde ich mich weiterhin für mehr Frauen einzusetzen, in allen Gremien. Für mich sind die Fragen nach mehr Frauen beim DFB normal und berechtigt – und sie müssen gestellt werden.
In einem NDR-Bericht über Sie heißt es: “Irgendwann wollten sie die Verrückte kennenlernen. Diese renitente Briefschreiberin aus Hamburg, diese Nervensäge, diese unbequeme Fragestellerin.” Ist das heute noch so? Stellen Sie noch diese unbequemen Fragen?
Ich finde meine Fragen sind nicht unangenehm, sondern berechtigt. Das mit der „Nervensäge“ war ja Anfang der 70er Jahre. Damals war es nicht üblich, dass Frauen sich einmischen und mal etwas sagen oder fragen – und schon gar nicht beim Fußball. Ob ich heute noch eine Nervensäge bin, müssten sie meine Kolleg*innen fragen. Ich finde nicht, dass ich das bin. Ich bringe mich mit meinen Kompetenzen und Erfahrungen ein – nicht nur zum Wohle des Frauen- und Mädchenfußballs, sondern für die Weiterentwicklung des Fußballs für alle. Das ist mir wichtig.
Sie sind eine Pionierin in der Männerdomäne Fußball. Spüren Sie deshalb mehr Verantwortung oder mehr Druck?
In meiner Anfangszeit habe ich durchaus Druck verspürt. Ich bin mit 26 Jahren in den DFB-Spielausschuss gewählt worden. Die Herren, die dort saßen, waren mindestens doppelt so alt. Zu der Zeit haben viele noch nicht richtig verstanden, dass Frauen jetzt auch Fußball spielen. Und dann kommt da eine an und will auch noch mitreden. Aber ich habe mich immer gut vorbereitet und hatte schon einiges an Erfahrung. Ich spielte Fußball, hatte Ausbildungen als Schiedsrichterin und Trainerin gemacht, war im Vereinsvorstand, im Hamburger Fußball-Verband Vorsitzende des Ausschuss Frauen- und Mädchenfußball und so hatte ich Kontakt mit vielen Spielerinnen und Verantwortlichen in den Vereinen. Ich hatte also ein gutes Fundament und ich wusste, was die Frauen wollten. Und in den Diskussionen hatte ich überzeugende Argumente, es ist eigentlich nichts abgelehnt worden – wenn oft auch nur mit einem Seufzen.
Wir können es uns nirgends erlauben – nicht in der Gesellschaft, nicht in der Wirtschaft – auf die weiblichen Talente zu verzichten.
Hannelore Ratzeburg
Wie zufrieden sind sie mit dem Status Quo von Frauen im deutschen Fußball?
Das ist eine sehr komplexe Frage. Letztendlich – ich kann ja auf eine über 40-jährige Laufbahn als Funktionärin zurückblicken – sind wir auf einem langen und schließlich auch auf einem guten Weg, das hat ja nicht erst jetzt angefangen. Wir können es uns nirgends erlauben – nicht in der Gesellschaft, nicht in der Wirtschaft – auf die weiblichen Talente zu verzichten. Gerade im Fußball gibt es noch viel zu tun. Immerhin ist jedes siebte Mitglied im DFB weiblich. Aber es dauert seine Zeit. Genauso ist es aber auch in anderen Teilen der Gesellschaft. Da tut sich im Moment eine ganze Menge und so soll es auch im Fußball sein. In anderen Sportarten sieht es ja nicht anders aus. Es ist viel zu tun im Sport – und so bei uns eben auch.
Was müsste denn passieren, damit sie mit der Situation zufrieden wären?
Da gibt es vieles. Wir haben in den Verbänden und Vereinen die Problematik, dass wir ganz viele Männer haben, der Fußball ist eben eine nach wie vor eine starke Männerdomäne. 70 Jahre bevor die Frauen überhaupt zugelassen worden sind, haben die Männer schon Fußball gespielt. In der Anfangszeit galt der Fußball für Männer als unschicklich, als Fußlümmelei. Sie mussten sich den Fußballsport auch hart erkämpfen. Vereine, Verbände und der DFB wurden dann von Männern für Männer gegründet. Und Fußball passte erstmal nicht zum Rollenbild der Frau. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurden dann in der sogenannten Studentenbewegung viele Dinge in der Gesellschaft hinterfragt, also auch die Rollenzuweisungen für Männer und Frauen. Die Frauen haben anschließend keine Ruhe mehr gegeben und den Fußball gegen viele Widerstände für sich erobert.
Wir brauchen einfach Frauen, die sich trauen und ihre Interessen vertreten.
Hannelore Ratzeburg
Was können Frauen noch tun? Außer Druck ausüben auf Männer in den Führungspositionen.
Wir brauchen mehr Frauen überall, ob im Profibereich oder allgemein im Fußball. Wir haben Frauen, die in den Vereinen – an der Basis – ganz wichtige und wertvolle Arbeit leisten. Es ist wichtig, dass die Frauen bereit sind, aus dieser Arbeit heraus auch Vorstandsaufgaben zu übernehmen und weiterzugehen, in den Kreis, Bezirk, in den Verband, um sich dort weiterzuentwickeln und die Strukturen kennenzulernen. Wir brauchen einfach Frauen, die sich trauen und ihre Interessen vertreten. Und dann brauchen sie Verbündete, die ihnen den Weg auch ebnen. Verbündete unter den Funktionären, die schon da sind.
Wie schafft man es, dass sich mehr Frauen für Führungsposition bewerben?
Die Frage ist: Bewerben sich Männer? Ich bezweifle das. Männer wachsen in diese Positionen herein, weil sie von anderen Männern gekannt sind. Deswegen muss ich meine Kolleginnen in den Verbänden animieren. Die haben wie die Männer auch eine Teilverantwortung, sich bei freien Positionen nach Frauen im Umfeld umzusehen, die die Qualifikationen haben und sie anzusprechen. Die Vereins- und Verbandsverantwortlichen sind in der Funktion den Frauen deutlich zu vermitteln, dass sie erwünscht und gebraucht werden für die weitere Entwicklung des Fußballs für alle. Denn die Frauen wollen angesprochen werden. Frauen können aber nur mitentscheiden oder etwas verändern, wenn sie mitmachen.
Welche Strategien hat der DFB, um mehr Frauen ins Präsidium zu bekommen?
Wir haben im DFB 21 Landesverbände, die wiederum in unterschiedlicher Anzahl 5 Regionalverbände bilden. Die Frauen müssten also Präsidentin eines Landesverbandes werden, dann Präsidentin eines Regionalverbandes und wären so automatisch im DFB-Präsidium. Es müsste eben in den Landes- und Regionalverbänden erkannt werden, dass es wichtig ist Positionen mit Frauen zu besetzen.
Wir haben beim DFB-Bundestag 2019 das Projekt „Frauen im Fußball“ beschlossen, es wird zurzeit eine Strategie entwickelt, um Frauen im Fußball und Frauenfußball weiterzuentwickeln. Zu dieser Strategie gehört natürlich auch, aufzuzeigen, welche Maßnahmen wir brauchen, um in den Vereinen und Verbänden dafür zu sensibilisieren, welchen Wert es hat, wenn Frauen und Männer sich gemeinsam für ihren Lieblingssport einsetzen. Das ist die große Nuss, die zu knacken ist.
Wie weit ist dieses Projekt schon?
Die Strategie für das Projekt „Frauen im Fußball“ ist auf dem Weg, aber noch nicht zum Abschluss gekommen. Wir haben ganz viele Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen, die ihre Ideen einbringen und dann gibt es eine Beschlussvorlage, vermutlich zum Bundestag im nächsten Jahr. Darauf können wir uns dann berufen, dass das beschlossen wurde und dann auch umgesetzt werden muss in den Verbänden.
Wie stehen Sie zu Frauenquoten?
Im Präsidium gibt es wenige Positionen zu besetzen, die nicht über die Regionalverbände automatisch besetzt werden. Das wären dann nur noch die Positionen Schatzmeister*in, Generalsekretär*in und Präsident*in, da würde es gehen. Wir müssen aber an der Basis anfangen, die Frauen dazu zu animieren, laut zu werden und zu sagen: „Ich will mitmachen!“. Wenn ich nicht diese Erfahrungen und Kenntnisse hätte, die ich aus meiner Verbandsarbeit oder meiner eigenen fußballerischen Laufbahn habe, würde ich vieles gar nicht verstehen. Es ist eben eine bestimmte Fachsprache, man muss die Zusammenhänge alle verstehen. Da kann man nicht mal eben als Quer-Einsteiger*in anfangen.
Wäre dann eine Frauenquote an der Basis sinnvoll?
Das hätten dann die Vereine selbst zu entscheiden, es wäre aber einfacher. So könnte man alle Lebens- beziehungsweise Fußballerfahrungen im Vorstand bündeln.
Ich begrüße, dass der Profi-Bereich erkennt, dass er sich breiter aufstellen muss. Es hat aber auch 50 Jahre gedauert.
Hannelore Ratzeburg
Was halten Sie vom Abschlussbericht der Taskforce Profifußball?
Die Arbeitsgruppen der Taskforce haben ihre Arbeit ja noch nicht aufgenommen, sie hatten ihr erstes Treffen erst vor ein paar Tagen. Ich begrüße, dass der Profi-Bereich erkennt, dass er sich breiter aufstellen muss. Es hat aber auch 50 Jahre gedauert. Dass „Frauen im Fußball“ und „Frauenfußball“ jetzt Kernthemen sind, finde ich sehr gut. Allerdings muss man vermeiden, dass zu viel Druck auf die Frauen ausgeübt wird. Es muss eine echte Chance sein, dass sie sich einbringen können. Dass vielleicht auch ehemalige Spielerinnen, die andere Funktionen im Fußball haben und hatten, zu Wort kommen und nicht wieder nur die Männer, die schon in den Vereinen überall das Sagen haben.
Die DFL hat Anfang März mitgeteilt, dass nun eine Diversitätsstrategie erarbeitet werden soll. Sind Sie da involviert?
Bisher nicht. Es ist jetzt erstmal die Kerngruppe aus Hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der DFL und des DFB zusammengestellt worden. Arbeitsgruppen gibt es noch nicht, es wird sich dann zeigen, ob ich dort mit einsteige oder ob ich es anderen überlasse. Die Zielsetzung muss ja sowieso erst diskutiert werden.
“Unsere Kurve”-Vorständin Helen Breit sagte im nullzueins-Interview, eine Diversitätsstrategie sei anfangs gar nicht auf der Agenda der Taskforce gestanden.
Das kann sein, ich war ja nicht dabei. Aber ich habe mit Christian Seifert gesprochen, der hatte mir schon angekündigt, dass er das als wichtig ansieht. Ich bin auch wirklich gespannt, was dann dabei rauskommt und wie wir gemeinsam etwas auf den Weg bringen können.
Warum waren Sie eigentlich nicht Teil der Taskforce? Für die Bereiche Frauen im Fußball und Frauenfußball sind Sie als Gleichstellungsbeauftragte und Vizepräsidentin für Frauenfußball ja eigentlich prädestiniert.
Das kann ich nicht sagen, es ist ja eine Initiative der DFL und der gehöre ich nicht an. Wenn sie das Thema Frauenfußball dann angehen, müssen sie ja sowieso Kontakt mit uns aufnehmen, weil der DFB den gesamten Frauen- und Mädchenfußball auf Bundesebene organisiert. Daher sehe ich das ganz entspannt.
Hätte man Sie vielleicht trotzdem fragen sollen, weil Sie so gut zum Thema passen?
Naja, sie haben es eben nicht. Es ist jetzt so, wie es ist, die Arbeitsgruppen werden eingerichtet. Ich werde natürlich immer nachforschen, im Präsidium nachfragen, wie der Stand der Dinge ist. Und ich werde natürlich auch schauen, dass ich ebenfalls darauf Einfluss nehmen kann.
Nur 3,6 Prozent der Fußballlehrerlizenzen werden von Frauen gemacht. Warum ist das so?
Die 3,6 Prozent haben wir immerhin. Die Lizenz ist ja mit ziemlich hohen Kosten verbunden, die die Teilnehmer*innen zahlen müssen. In der Regel wird davon ausgegangen, dass das durch gut-dotierte Jobs im Profifußball refinanziert werden kann. Wir haben vom DFB aus Stipendien für ehemalige Nationalspielerinnen zur Verfügung gestellt, damit Frauen diese Fußballlehrerlizenz auch erwerben können. Es ist richtig, dass dort noch einiges zu tun ist, aber wir müssen ja auch sehen, wie viele Vollzeitstellen es als Trainerin überhaupt gibt. Im Frauenfußball gäbe es 26 Stellen, aber was geschieht, wenn ein Verein sich von der Trainerin trennt, weil es nicht passt? Männer können ja noch eher in den Männerbereich, aber wo bleiben die Frauen? Bei einer Vollzeitstelle als Trainerin müssten die Frauen ja ihren Beruf aufgeben oder sich zumindest beurlauben lassen. Sie gehen ein hohes Risiko ein, wenn sie drei bis vier Jahre eine erfolgreiche Trainerin waren und dann keinen Job mehr bekommen. Und so viel Geld wie die Männer verdienen sie wahrscheinlich auch nicht. Die Perspektive für Frauen als Trainerin, mit einem guten Gehalt durchgehend als Trainerin arbeiten zu können, um auch mal ein Jahr ohne Job überbrücken zu können, gibt es nicht.
Wie kann man Frauen dann besser fördern?
Wir animieren unsere Nationalspielerinnen, sich zu überlegen, welche Aufgaben sie übernehmen könnten, wenn sie ihre Laufbahn beenden. Viele sagen, dass sie sich als erstes vorstellen können, Trainerin zu werden. Das wollen wir natürlich auch gerne unterstützen. Beim DFB werden ja zum Beispiel alle Frauen- und weiblichen U-Nationalmannschaften von Cheftrainerinnen betreut, die ehemalige Nationalspielerinnen sind. Auch einige Co-Trainer*innen-Positionen sind von ehemaligen Nationalspielerinnen besetzt. Allerdings haben wir auch Männer in verschiedenen Zuständigkeitsbereichen, damit sind wir dann ganz fortschrittlich, denn im männlichen Bereich haben wir noch keine Frauen z.B. als Co-Trainerinnen.
In der (Frauen-) Bundesliga haben wir von zwölf möglichen Plätzen nur eine Position mit einer Frau besetzt.
Hannelore Ratzeburg
Muss man dann vielleicht genau im Herrenbereich ansetzen, um Trainerinnen dort den Einstieg zu erleichtern?
Da haben wir leider keinen Einfluss, die Vereine machen ja die Verträge mit den Trainer*innen. Es ist bekannt, welche Trainerinnen in Deutschland die Fußballlehrerlizenz haben, man müsste sie nur ansprechen. Ich weiß nicht, ob es wirklich die oberste Zielsetzung von Frauen ist, im Männerbereich Fuß zu fassen. Aber wenn das eine schafft, soll sie es machen, doch wir brauchen auch im Frauenbereich Trainerinnen. In der Bundesliga haben wir von zwölf möglichen Plätzen nur eine Position mit einer Frau besetzt. Da fragt aber keiner, wieso Männer denn eigentlich bei den Frauen Trainer sind. Und umgekehrt soll das die große Zielsetzung sein. Das sehe ich nicht so.
Gibt es intern einen Zeitplan, bis wann man einzelne Maßnahmen umsetzen will?
Am Projekt “Frauen im Fußball” wird gerade fieberhaft gearbeitet, damit wir beim nächsten DFB-Bundestag erste Ergebnisse vorlegen können. Diese Ergebnisse liegen aber zurzeit eben noch nicht vor. Deshalb gibt es noch keinen exakten Plan. Man muss auch beachten: Um etwas zu ändern, brauchen wir Mehrheitsbeschlüsse. Dafür müssen wir so viele Menschen wie möglich davon überzeugen, dass das Thema “Frauen im Fußball” nicht nur für den Frauenfußball, sondern für den Fußball allgemein wichtig ist. Es ist noch eine ordentliche Ecke Arbeit und dafür brauchen wir auch noch dieses Jahr.
Das Problem bei den Mehrheitsbeschlüssen: Momentan sind ältere Männer in den zuständigen Gremien noch die überwiegende Mehrheit. Wehren sich da manche Männer, die ihren Platz nicht verlieren wollen?
Das kann ich nicht ausschließen. Mir gegenüber äußern sie sich da nicht. Aber wenn ich nicht dabei bin, weiß ich nicht, ob der ein oder andere sagt: Nö, nö, ich werde schon zusehen, dass hier keine Frau hochkommt und ich gehen muss. Deswegen ist es so wichtig, Sensibilität zu schaffen. Wir hatten einen Workshop mit den Landesverbandspräsidenten, bei dem es um die wichtigsten Zukunftsausgaben ging. Da stand am Ende das Thema Frauen und Mädchen im Fußball ziemlich weit oben. Von daher bin ich zuversichtlich, dass ein Großteil der Kollegen in entscheidenden Positionen erkennt, wie wertvoll es ist, dass Frauen und Männer sich gemeinsam für die Weiterentwicklung des Fußballs einsetzen.
Ich war Spielerin aber nicht Spieler, ich war Trainerin aber nicht Trainer.
Hannelore Ratzeburg
Wie wird im DFB mit dem Thema Gendern umgegangen?
Schrift und Sprache verrät auch die Denke. Wenn immer nur von Spielern, Trainern oder Funktionären gesprochen wird, dann sind Frauen und divers nicht gemeint so wird es auch von den meisten Menschen wahrgenommen. Wenn Männer dann sagen, die Frauen sind ja mitgemeint, dann entgegne ich: Nein! Ich fühle mich nicht mitgemeint. Ich war Spielerin aber nicht Spieler, ich war Trainerin aber nicht Trainer. Wir müssen wirklich darauf achten, wie wir mit Sprache und Schrift umgehen.
Außerdem haben seit Ende 2018 intersexuelle Menschen in Deutschland die Möglichkeit, beim Eintrag ins Personenstandsregister außer den Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch die Option „divers“ zu wählen. Dem wollen wir beim DFB auch gerecht werden. Aus diesem Grund kann man inzwischen auch bei einem Antrag auf Spielberechtigung bei den Landesverbänden neben „männlich“ und „weiblich“ auch „divers“ angeben. Außerdem haben wir entschieden, dass wir in allen aktuellen und zukünftigen Schriftstücken die Schreibweise mit Genderstern verwenden werden. Dies wird ja auch vom LSVD-Verband empfohlen. Und damit wird deutlich, dass nicht nur Männer gemeint sind, sondern wirklich alle. Es heißt also nicht mehr liebe Fußballfreunde, sondern liebe Fußballfreund*innen.
Die Prämien für Männer und Frauen sind bei den DFB-Nationalteams noch höchst unterschiedlich. Die Frauen hätten bei einem WM-Erfolg 2019 275.000 Euro weniger bekommen als die Männer. Andere Nationen, wie etwa Brasilien, bezahlen Männer und Frauen gleich. Der DFB gab bekannt, dass sich die Prämien aus den Vermarktungserlösen der Turniere ergeben würden. Könnte man aber mit gleicher Bezahlung nicht ein Zeichen für mehr Gleichberechtigung setzen?
Es ist richtig, es geht um Prämien und nicht um Gehälter. Die Nationalspielerinnen haben Verträge mit ihren Vereinen und erhalten dort ihre Gehälter. Es gibt aber nicht in allen Verbänden der Welt Vereinsstrukturen wie in Europa und da werden die Spieler*innen vom Verband bezahlt.
Man muss bedenken, dass die EM- und WM-Turniere der Männer und Frauen unterschiedlich groß sind. Bei den Frauen sind eben nicht so viele Mannschaften beteiligt wie bei den Männern. Jedoch erhöhen sich auch dort kontinuierlich die Prämien. Bei der nächsten WM der Frauen 2023 will die FIFA den Betrag wohl von 30 auf 60 Millionen Euro anheben, allerdings soll auch die Anzahl der teilnehmenden Mannschaften erhöht werden. Bei den Männern hingegen wurden bei der WM 2018 400 Millionen Euro ausgeschüttet und bei der nächsten WM ist geplant, diesen Betrag auf 440 Millionen zu erhöhen. Wenn man mehr Spiele hat, dann hat man auch mehr Fernsehübertragungen und damit mehr Raum für Sponsoren. Hier ist aber auch die FIFA gefordert, noch mehr Anstrengungen bezüglich der Vermarktung der Frauen-Weltmeisterschaften aufzubringen. Zum Beispiel die Wettbewerbe besser zu platzieren und damit höhere Erlöse zu erzielen, die dann wiederum an die einzelnen Verbände ausgeschüttet werden, dann könnten auch die Prämien erhöht werden.
Das DFB-Pokalfinale der Frauen und Männer findet am selben Tag statt. Die Frauen am Nachmittag und die Männer danach zur besten Sendezeit. Könnte man nicht genauso hier ein Zeichen für den Frauenfußball setzen, indem man Anstoßzeiten wechselt und die Frauen am Abend zur besseren Sendezeit spielen lässt?
Man kann sich sicher darüber streiten, was die besten Sendezeiten sind. Wenn das Spiel der Männer um 20:45 Uhr anfängt und eventuell noch Verlängerung und Elfmeterschießen dazukommt, dann wird es schon sehr spät. Und nach 23:00 Uhr ist nicht nur sehr spät für Kinder, sondern für alle. Ob das dann die beste Sendezeit ist, da lässt sich trefflich streiten. Vor dem Pokalfinale der Frauen in Köln wird ja auch noch allerlei geboten, es spielen über 100 Mädchenmannschaften verschiedene Wettbewerbe aus, es gibt Konzerte, Autogrammstunden und vieles mehr – mit dem großen Highlight des Pokalfinales dann am späten Nachmittag. Da will man dann auch nicht, dass es allzu spät wird für die Fans und ihre Kinder. Wir sind mit unseren Partnern im Gespräch, wie man in der Zukunft mit dieser Situation der Anstoßzeiten umgeht.
Familienfreundlicher ist die Anstoßzeit der Frauen auf jeden Fall. Dennoch ist die Primetime im Fußball um 20 bis 21 Uhr, dort bekommt man die meiste Medienberichterstattung.
Das ist richtig, es stellt sich aber trotzdem die Frage, warum das so ist. Ich höre immer wieder Klagen von Familien, die sagen, die Kinder würden so gerne auch das Pokalfinale der Männer sehen. Wenn es nur nicht so spät wäre. Es gibt also auch viele Gründe dafür, unser Spiel am Nachmittag auszutragen.
Zum Abschluss: Was kann bis zum Ende ihrer Amtszeit 2022 noch realistisch umgesetzt werden und was würden sie sich wünschen?
Ich hoffe, dass bis zum Ende meiner Amtszeit einiges umgesetzt wird, woran wir gerade arbeiten.
Wünsche hätte ich natürlich schon noch ein paar.
Ich wünsche mir zum Beispiel:
- dass endlich erkannt wird, dass Fußball die gemeinsame Leidenschaft von Frauen und Männern
- dass hinter den Mannschaften gemischte Teams stehen. Trainer*innen, Physiotherapeut*innen oder Funktionär*innen, wie das bei den Frauen-Nationalmannschaften der Fall ist.
- dass mehr Frauen ihre Stärken erkennen, damit sich für alle der Fußball in sämtlichen Bereichen weiterentwickeln kann. Dazu brauchen wir noch mehr weibliche Vorbilder.
- dass die Zahlen der Frauen- und Mädchenmannschaften wieder wachsen. Die sind ja leider zurzeit wieder rückläufig.
- dass der Frauenfußball auch mehr Sichtbarkeit erreicht, etwa durch regelmäßige Übertragungen im Fernsehen. Nicht nur bei den großen Turnieren, sondern wirklich regelmäßig Wochenende für Wochenende.
- dass die Arbeit von Ehrenamtlichen in der Gesellschaft mehr Anerkennung findet.
Und zum Abschluss wünsche ich mir, dass solche Fragen nicht mehr gestellt werden müssen, sondern alles ganz normal ist. Das Männer und Frauen sich gleichermaßen im Fußball engagieren, egal in welcher Funktion.
Foto: DFB/Thomas Böcker
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