In die Tiefe

Homosexualität als Selbstverständlichkeit?

Dass der Frauenfußball weit offener mit dem Thema Homosexualität umgeht, als jener der Männer, ist kein Geheimnis. Aber was sind die Herausforderungen für homosexuelle Frauen und welche Unterschiede gibt es zu den Männern?

Dass der Frauenfußball weit offener mit dem Thema Homosexualität umgeht, als jener der Männer, ist kein Geheimnis. Aber was sind die Herausforderungen für homosexuelle Frauen und welche Unterschiede gibt es zu den Männern?

Die frühere Bundestrainerin Tina Theune bezifferte den Anteil von homosexuellen Spielerinnen einmal auf 20 bis 40 Prozent. Gerade im Gegensatz zum Männerfußball, wo selbst optimistische Schätzungen nicht auf Werte über dem gesellschaftlichen Durchschnitt (fünf bis zehn Prozent) kommen, ist diese Zahl erstaunlich hoch. Doch wie kommt dieser hohe Wert zustande?

Die Sporthistorikerin Carina Sophia Linne sagte dazu im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Die Mädchen werden groß mit dem Wissen, dass es im Frauenfußball einen offenen Umgang mit diesem Thema gibt. Das öffnet die Türen für homosexuelle Frauen im Fußball. Ich bin überzeugt davon, dass Vorbilder hierbei eine wichtige Rolle spielten. Im Tennis etwa war es Martina Navratilova, die sich outete. So etwas nimmt dem Thema letztlich die Bedeutung. Im Frauenfußball spielt die Sexualität im Grunde keine Rolle. Es ist nichts Besonderes, homosexuell zu sein. Bei den Männern ist es für die Medien so spannend, weil es eben ein Tabuthema ist. Die Fußballer könnten es lösen, indem sie lockerer damit umgehen, wohl wissend, dass es eine sehr private Entscheidung ist, dazu öffentlich zu stehen.“

Aus dem Männerfußball ist man oft gewohnt, dass von den Rängen homophobe Beleidigungen auf die Spieler einprasseln. Im Frauenfußball scheinen sich die Fans auch davon schon emanzipiert zu haben.

So berichtet die Wolfsburgerin Shanice van de Sanden etwa auf die Frage im Kicker, ob sie schon mal wegen ihrer Homosexualität diskriminiert worden wäre: „Nein, nie! Im Frauenfußball ist es auch nicht so, dass abwertende persönliche Dinge aus dem Publikum gerufen werden, so wie im Männerfußball. Ich hatte allerdings Gespräche mit Leuten, die automatisch annehmen, dass alle Spielerinnen im Frauenfußball lesbisch sind. Wenn ich denen sage, dass das nicht der Fall ist, kommen sie ins Grübeln – das ist schon mal ein Anfang. „

Verband und Sponsoren

Doch obwohl die Zahl der lesbischen Spielerinnen derart hoch ist, gab es laut der Journalistin Manuela Kay lange Zeit das Gerücht, der DFB hätte die Homosexualität seiner Spielerinnen zwar geduldet, aber nicht das öffentliche Reden darüber.

Sie äußerte sich dazu im Deutschlandfunk: „Dazu hat noch nie jemand etwas gesagt. Sie sagen immer, es gibt keinen Druck. Ich bin fast geneigt, das auch zu glauben. Und dass es stattdessen eher ein vorauseilender Gehorsam ist. Auch am Arbeitsplatz sind nach wie vor die Hälfte aller Schwulen und Lesben nicht offen homosexuell. Warum sollen Fußballer an ihrem Arbeitsplatz da anders sein? Und vor allem, wenn sie so sehr in der Öffentlichkeit stehen. Diese Scheu davor, nicht mehr gemocht zu werden, das kann ich durchaus verstehen.“

Viele Spieler*innen haben auch oft die Angst, dass nach ihrem Coming-Out wichtige Sponsoren abspringen, da ihre Homosexualität nicht in deren Firmenleitbild passt.

Manuela Kay sagt dazu: „Wir versuchen ja, auch den Unternehmen immer klar zu machen, dass sie nur gewinnen können, in dem sie sich als weltoffen darstellen, aber auch da ist Deutschland zwanzig Jahre hinterher. Das ist in englischsprachigen Ländern oder auch in Skandinavien ganz anders. Und hier sagen sie in Deutschland: Ne, also das ist uns nichts. Natürlich geben die sich nicht mehr offen homophob, das kann man sich nicht mehr erlauben, aber sie führen dann im Grunde meistens an, sie haben kein Geld, was natürlich Quatsch ist. Die halten es immer noch für schädlich, im Zusammenhang mit Homosexualität genannt zu werden.“

Unterschied zum Männerfußball

Im Frauenfußball ist Homosexualität also zum großen Teil zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch was muss sich im Männerfußball ändern, um dieselbe Akzeptanz von Homosexualität zu erreichen?

Shanice van de Sanden hat sich auch dazu im Interview mit dem Kicker geäußert: „Mehr Offenheit gegenüber Gefühlen wäre schon mal gut. Im Männerfußball will jeder cool sein. Ich habe ein paar gute Freunde unter den Spielern und es sieht völlig anders aus, wenn du mit ihnen allein bist, als wenn du mit allen zusammen rumhängst. Ein Freund sagte mir mal, er könne sich nur schwer vorstellen, dass ich Frauen liebe, denn ich würde manchmal echt mädchenhaft und feminin aussehen. Und ich meinte, er solle vielleicht damit aufhören, sich irgendwelche Vorstellungen zu machen und mir einfach mal zuhören. Das kommt ziemlich oft vor: Die Leute stellen dir Fragen, aber eigentlich wollen sie nur bestätigt bekommen, was sie denken. Sie hören nicht zu. Er hat es schließlich aber doch kapiert.“

Auch hier also eher ein systematisches Problem im Männerfußball. Viele Spieler verbinden mit Homosexualität fälschlicherweise immer noch Begriffe wie Schwäche, Feminität etc. Hier scheint der Frauenfußball einen gewaltigen Vorsprung im Denken der Akteurinnen zu haben. Solange sich dieses Denken bei den Männern nicht ändert, wird es auch weiterhin große Barrieren für ein Coming-Out von homosexuellen Spielern geben.

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