1932 ist Österreichs Nationalmannschaft die wohl beste des Kontinents. Doch erst im Duell gegen die zuhause als unbezwingbar geltenden Engländer, entsteht der Mythos des Wunderteams. Wir blicken zurück auf das goldene Zeitalter des österreichischen Fußballs.
Der 7. Dezember 1932 in England ist ein klarer, kalter Wintertag. Doch die Londoner Stamford Bridge dampft, durch die Anspannung von 40.000 Menschen. Erwartungsvoll und dicht gedrängt auf den Tribünen. Hier friert heute niemand, die Anspannung ist dafür zu groß. Auch in Wien ist sie zu spüren. Die ganze Stadt ist menschenleer, man ist entweder in einem Cafe oder gemeinsam mit zehntausenden am Wiener Heldenplatz. Dort plärrt, mit blecherner Stimme Professor Willy Schmiegel einem diese Anspannung förmlich ins Gesicht. Die Winterhilfe hatte eine rießige Lautsprecheranlage installiert. Public Hearing als Massenphänomen.
Von 1931 bis 1932 startete Österreich eine grandiose Siegesserie, die das ganze Land in Euphorie versetzte. Das nach dem ersten Weltkrieg so arg verkleinerte und gebeutelte Land, war selbst von seinen Bewohnern für nicht lebensfähig erklärt worden. Nun hatte man erstmals wieder ein Nationalgefühl, ein Österreich auf das man stolz sein konnte. Der Fußball und besonders die Erfolge der Nationalmannschaft waren eine willkommene Ablenkung im durch die Weltwirtschaftskrise tristen Alltag.
Es war also kein Wunder, dass eine Einladung der Engländer zu einem Spiel in London regelrecht nationale Begeisterung auslöste. In den Tagen vor der Begegnung war Wien regelrecht im Fieberwahn. Zeitgenössische Stimmen berichteten etwa von Anekdoten wie:
Wenn heute irgendwo zwei Leute zusammenstehen und du hörst eine Zahl nennen, sei versichert, es ist kein Börsentipp, es ist nicht einmal die Zahl seiner Schulden, es ist nur das Fußballresultat aus England, das jeder dem anderen vorweg beweisen will. Oder wenn du zum Friseur kommst und er dich just, da das Messer am Hals kitzelt, unverfänglich frägt: „Na wern mas gewinnen?“ – dich stört dann nicht einmal mehr das Rasiermesser und unter Todesgefahr raunzt du ihm zu: „Jawohl, drei zu ans!“
Beide Länder hatten auch ihr Übriges dazugetan, diese Begegnung zur Feststellung der fußballerischen Vorherrschaft in Europa hochzustilisieren. Obwohl schon die Einladung nach London ein Ausdruck höchster Anerkennung war. England damals noch in „Splendid Isolation“, lud Österreich als erst dritte Mannschaft vom Kontinent zum Kräftemessen in die Heimat ein. Der letzte Gast war Spanien. Endergebnis 7:1. Adios und Goodbye.
Doch dieses Spiel war mehr als Anerkennung. Es war eine Frage des Systems, ja eine Frage des Glaubens. Die Engländer, hatten dem selbst erfundenen Kombinationsspiel der Zwanziger Jahre längst abgeschworen und setzten nun auf ein, auf den Endzweck gerichtetes, wuchtiges Tempospiel. Kraft, Schnelligkeit und Athletik wurden die obersten britischen Tugenden.
Dagegen, dort die Österreicher, die aus dem britischen Vorbild der Zwanziger ihre eigene Melange kreierten. Der Fußball der „Wiener Schule“ war frech, technisch anspruchsvoll, voller Witz und Kreativität. Wiener Schmäh als Doppelpass verkleidet. Die Mannen rund um Sindelar und Gschweidl berauschten sich regelrecht am Kombinationsspiel. Oft schien es gar, dass der eigentliche Endzweck des Fußballspiels, das Tore schießen, nicht die Priorität im Spiel der Österreicher war. Vielmehr wirkte es wie ein Verlust, wenn sie ihr geliebtes, ledernes Rund aus ihren virtuosen „Scheiberlspiel“ entlassen mussten, um damit so etwas schnödes und plumpes wie ein Tor zu erzielen.
Es war also Kraft gegen Geist.
40.000 Fans warten nun also auf den Anpfiff in London. Unter ihnen auch tausende Österreicher die den Weg auf sich genommen hatten. Einer davon sogar zu Fuß, mehrere Wochen war er unterwegs. Es sollte sich lohnen.
Alle 22 Akteure des Dramas standen nun nämlich bereit. 80.000 Augen in London und tausende Ohren in Wien, waren jetzt auf den Offiziellen dieses Abends gerichtet, Schiedsrichter John Langenus, der nun seine Pfeife zum Mund führte.
Anpfiff
Die Spieler aus Österreich in den Landesfarben und mit dem Anstoß. Aber nervös. Schon der erste Pass daneben. Ballverlust, Angriff England. Der Druck ist enorm. Mit Not klärt Karl Sesta zum Corner. Erst die 4. Minute. Österreich ist schlecht geordnet, Hampson ungedeckt. 1:0.
In dieser Taktzahl geht es weiter, Walker, Hampson und Hart wuchten schon den nächsten Angriff nach vorne. Die Österreicher sind die Offensive gewohnt, doch nun müssen sie das englische Spiel zerstören. Es gelingt ihnen nicht.
27. Minute, Ball in den Strafraum, wieder Hampson allein vor dem Tor. Schuss. Tormann Hiden greift ins Leere. Abseits? Langenus‘ Pfeife bleibt stumm. 2:0 England.
Den Österreichern gelingt es nicht ihr gewohntes Kombinationsspiel aufzuziehen. Über den rechten Flügel geht nichts, über den linken noch weniger. Vorne drin Mathias Sindelar „der Papierene“, bisher nur ein verlorenes Blatt im Londoner Winter. Fritz Gschweidl schmerzt der Knöchel, Karl Zischek schafft es aus drei Metern am Tor vorbeizuschiessen. Die Wiener Druckerpressen werfen schon mal den Konjunktiv an. „Welchen Verlauf der Kampf wohl genommen hätte“…
Halbzeit-Pause
„Kreuzbimmlbamml! Man könnt die Pokerlfras kriegen!“… Radiosprecher Willy Schmiegl bringt die erste Halbzeit auf den Punkt. Am Wiener Heldenplatz macht sich schon Resignation breit. Wo ist der Witz der eigenen Mannschaft? Wann ziehen sie endlich ihr Kombinationsspiel auf? Sind die Briten am Ende doch eine Nummer zu groß?
Hugo Meisl bervorzugte immer schon den britischen Fußball. Schnörkellos, zielstrebig, ehrlich. So war sein Charakter, so mochte er den Fußball. Einziges Problem, er war Teamchef der Österreicher und hier wurde eben „gescheiberlt“. Ein Umstand der den sonst so adretten Gentleman des öfteren zur Weißglut trieb. Unvergessen ein Spiel gegen die Ungarn. Heinrich „Wudi“ Müller besaß damals die Frechheit direkt vor Meisl ein Dribbling zu starten. Ein riskanter Versuch, der schief geht. Der Ball war weg. Doch „Wudi“ Müller läuft weiter. Hinter ihm kein Gegenspieler, sondern Hugo Meisl mit hochrotem Kopf. Der Teamchef hat aufgrund dieser sinnlosen Dribbelei die Beherrschung verloren. In der einen Hand bedrohlich seinen Stock schwingend, in der anderen Hand die im Wind flatternde Melone, die es bei dem Tempo wohl nicht mehr auf des Teamchefs Haupt gehalten hätte.“Sie Verbrecher“, hallt es über den Platz, während er Müller hinterherjagt. Der ist glücklicherweise schneller.
Hugo Meisl war mit dafür verantwortlich, dass 1924 der Profibetrieb in Österreich eingeführt wird. Und war eben auch von 1913 bis 1937 Teamchef der Nationalmannschaft. Der er aber nie das Spiel so beibringen konnte wie er es immer wollte. Und gerade deswegen war er wahrscheinlich auch einer der Hauptarchitekten dieses Wunderteams. Denn Wunder lassen sich nicht planen, sie passieren einfach.
Zweite Halbzeit
Und genau dieser Hugo Meisl musste nun am 7. Dezember 1932 in einer kleinen Kabine des Stamford Bridge Stadions, seiner Mannschaft wieder den Kopf gerade richten. Und er weiß, dass die Österreicher sich nicht an das athletische Spiel der Engländer anpassen können, wie er es gerne hätte. Niemand weiß genau, was in dieser Kabine gesprochen wurde. Bekannt sind nur zwei Wortmeldungen: „Jetz brauch ma uns nix mehr scheißen!“ und „Spüüts euer Spüü“.
Und die Hugo Meisls Jungs spielten ihr „Spüü“, in einer Halbzeit die kein Anwesender je mehr vergessen würde.
Die Österreicher kamen wie verzaubert aus der Kabine. Sindelar spielte nun wie man es vom „Papierenen“ gewohnt war, mit Witz und Leichtigkeit. Gleich nach fünf Minuten gibt er das Leder links rüber zu Schall. Mit einem Kontakt leitet Schall weiter. Zischek übernimmt den Ball im vollen Lauf, täuscht Hibbs und steht vorm Tor. Diesmal behält er die Nerven. Nur mehr 2:1.
Nun fiel auch noch Nebel ins Stadion ein. Als würden die englischen Elemente den eigenen Mannen zur Hilfe eilen. Doch es scheint nichts zu nutzen. Die Österreicher setzen sich in der englischen Hälfte fest. Nun scheint es als könnte es gelingen. Der englische Riese wankt. Sieben Verteidiger haben alle Hände zu tun die Österreicher vom Ausgleich abzuhalten. Vier Corner hintereinander lassen die Zuhörer immer wieder hoffen.
Doch dann die 75. Minute. Zischek kann Hampson nur mehr mit der Grätsche stoppen. Freistoß England. Die österreichische Mauer formiert sich langsam. Doch da schießen die Engländer schon. Der Schuss trifft zuerst Gall und schlägt dann im Netz ein. Hiden zum dritten Mal geschlagen.
Doch anders wie in der ersten Halbzeit, scheinen die Österreicher nun auf alles eine Antwort zu finden.
Nur drei Minuten später, Schall im Galopp übers Feld. Jetzt ist die Leichtigkeit da. Vogl übernimmt den Ball, lässt einen, nein zwei Engländer aussteigen und legt den Ball zu Sindelar in die Mitte. Der stürmt in Richtung Strafraum, schießt, trifft und verkürzt damit wieder auf ein Tor. Noch zwölf Minuten zu spielen.
40.000 Zuschauer sehen, was Hunderttausende nur hören aber alle spüren können, das Spiel steuert unweigerlich auf sein dramatisches Finale hin.
82. Minute. Die Engländer erkämpfen sich den Ball. Walker schickt Jack in den leeren Raum, der flankt zu Crooks. Und der nimmt den Ball volley mit links – 4:2.
Es wird chaotisch. Die Österreicher beschweren sich beim Schiedsrichter Langenus über die harte Gangart der Briten. Der Belgier bleibt aber ruhig. Dann wildes Gestocher im österreichischen Strafraum. Niemand weiß wo der Ball ist, bis sich Hiden dazwischen wirft und ihn festhält.
Die Zeit läuft den Österreichern davon. Hiden versucht die Engländer daher mit den eigenen Waffen zu schlagen und schießt weit aus. Die Briten lassen sich überrumpeln und es gibt Corner für Österreich. 87. Minuten gespielt. Vogl tritt die Ecke im hohen Bogen in den Fünfer hinein. Goalie Hibbs will wegfäusteln doch der Ball trifft nicht seine Hände sondern Karl Zischeks Kopf. Über Hibbs hinweg senkt sich das dritte Tor der Österreicher ins Netz.
Noch drei Minuten. Nachspielzeit gibt es in den 30ern noch nicht. Jetzt spielt nur mehr Österreich. Die Engländer verfallen fast in Panik und dreschen den Ball nur mehr über die Seitenlinie. Die österreichische Hintermannschaft rückt bis zur Mittellinie auf. Gelingt noch ein letzter Angriff? Hat Sindelar noch eine Idee?
Nein, nach 90. Minuten hat das Wunder von London sein Ende im Pfiff von John Langenus gefunden.
Abpfiff
Österreich war geschlagen. Die Siegesserie gerissen.
Doch genau diese Niederlage sollte es später sein, die den Mythos Wunderteam begründete. Diese Niederlage war deshalb so speziell, weil sie österreichisch war. Man hatte nicht einfach verloren, nein, man war in Schönheit gestorben. Und das gilt etwas im Alpenland.
Langenus erinnerte sich später an das Spiel: „Den schönsten Kampf in meiner Laufbahn habe ich in Stamford Bridge erlebt. Viele Situationen habe ich heute noch vor den Augen, als wäre das Spiel erst gestern abgerollt. England gewann zwar mit 4:3, aber den schöneren Fußball mit den genialen Einfällen hatte Österreich vorgeführt.“
Auch die britische Presse hielt in seltener Eintracht die spielerische Überlegenheit der Österreicher fest. Die Daily Mail nannte den österreichischen Angriff eine Offenbarung und zählte Sindelar, Vogel, Nausch etc. zu den größten Spielern der Welt. Die Times schwärmte von der österreichischen Kombinationsgabe und hielt fest, dass die englische Hegemonie im Weltfußball wohl zu Ende sei.
Nachdem man auf der Heimfahrt nach Wien quasi beim Umsteigen noch Belgien mit 6:1 abfertigte, stand der Empfang in Wien an. Zehntausende bildeten ein schwarz gekleidetes Menschenmeer, das auf der Mariahilfer Straße auf Hunderttausende Menschen anwuchs. Karl Sesta berichtete später: „Jeder wollte uns die Hand drücken. Gerade, dass uns die Kleider nicht vom Leib gerissen wurden. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun um uns durch die Menge zu schleusen. Ich glaube an diesem Tag hat in Wien kein Mensch gearbeitet. Alle wollten uns sehen.“
Selbst Bundeskanzler Dollfuß begrüßte die Mannschaft persönlich. „Das Vaterland dankt euch“ waren seine Worte, die wohl jeder an diesem Tag so unterschrieben hätte. Drei Monate später sollte Dollfuß das Parlament ausschalten und Österreich sah einer dunklen Zukunft entgegen.
Auch das Wunderteam zerfiel nach und nach. Mit dem Spiel gegen England war der Zenit des Wunderteams erreicht. Auch die Weltmeisterschaft 1934 wurde entgegen aller Erwartungen nicht gewonnen. Hugo Meisl starb 1937 und musste so nicht mehr mitansehen wie mit dem Anschluss Österreichs an das deutsche Reich, das vorläufige Ende für den österreichischen Fußball kam.
Was bleibt ist der Mythos.
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